6:00
Uhr
Ihr Wecker klingelt, aber Sie fühlen sich noch ziemlich mitgenommen
von der Nacht (Stichwort: "Schlummertrunk"). Eventuell haben
Sie Kopfschmerzen und sind völlig abgeschlafft. So ist an Arbeit
natürlich nicht zu denken. Stellen Sie den Wecker auf 7.30 Uhr, das
ist die einzig vernünftige Handlung, die im Moment angebracht ist.
7:30
Uhr
Genießen Sie die beschwingte Melodie, die aus Ihrem Radiowecker
ertönt. Eventuell bringt der Sender auch die ersten interessanten
Kurznachrichten. Falls nicht: Drücken Sie die Schlummertaste - auf
weitere 10 Minuten kommt es nun auch nicht mehr an.
8:00
Uhr
Ihr Radiowecker läßt nicht locker - und das ist ganz in Ihrem
Sinne. Sie wollen den Tag ja ausgeruht und frisch beginnen, da Sie heute
viel zu schaffen haben.
Gehen Sie also unter die Dusche. Suchen Sie aber zuvor noch das gestern
neu erstandene Duschgel "Extra Cool". Und die Massagebürste,
die Sie Weihnachten geschenkt bekommen haben. Alles, was Sie fit für
den Tag macht, ist heute angebracht.
8:30
Uhr
Ja, so frisch aus der Dusche sieht die Welt schon völlig anders aus.
"Am Morgen frühstücken wie ein König", fällt
Ihnen als Wahlspruch ein. Das schafft die nötige Grundlage für
den heutigen Tag. Aber ohne frische Brötchen ist das alles nichts.
Laufen Sie also rasch zum Bäcker um die Ecke. Ein paar Orangen, die
Ihnen die Vitamine für die energieaufwendige Arbeit liefern, sollten
Sie auch noch mitnehmen. Und natürlich ein Vollkornmüsli. Und
wenn man schon mal so früh auf ist - warum nicht eine Morgenzeitung?
Ein rascher Blick über die
Tagesereignisse hat noch niemandem geschadet.
9:30
Uhr
Okay, das Frühstück war etwas länger, als geplant, aber
wer konnte schon ahnen, daß diese Lokalzeitung ein außerordentlich
interessantes Kreuzworträtsel enthält?!
Jetzt sollten Sie an Ihren Schreibtisch gehen, fühlen sich aber etwas
zu voll. Das drückt nur im Sitzen. Gab es da nicht im Sportfernsehen
eine Morgensendung, in der Aerobic-Übungen gezeigt wurden?
10:00
Uhr
Sie haben endlich den Kanal eingestellt, auf dem dieses Sportfernsehen
läuft. Es hat sich gelohnt - tatsächlich wird diese Aerobic-Übung
gezeigt. Allerdings haben Sie nur die letzten 5 Minuten gesehen und sich
überlegt, welche der Vorturnerinnen wohl nach Ihrem Geschmack ist.
Das ist okay so, denn nun fühlen Sie sich ausgesprochen fit, um mit
der Arbeit zu beginnen. Allerdings: ein kurzer Sprung zum Briefkasten
sollte noch drin sein. Vielleicht haben Sie ja im Lotto gewonnen und müssen
heute gar nicht mehr arbeiten.
10:30
Uhr
Okay, zugegeben, das mit dem Lottogewinn war höchst unwahrscheinlich,
da Sie gar nicht Lotto spielen. Stattdessen war ein Kontoauszug mit roten
Zahlen drin, über die Sie sich sehr aufgeregt haben. Aber Sie überwinden
mannhaft den inneren Schweinehund und schalten Ihren Computer ein. Der
Abruf der neuen E-Mails gehört heute bereits zur Standardprozedur
eines modernen Westeuropäers. Das muß einfach sein.
11:00
Uhr
In Ihrer Mailbox waren wieder jede Menge Sex-Werbesendungen. Das nimmt
langsam überhand. Verständlich, daß Sie kurz im Netz nach
einem Download gesucht haben, das solche Werbung unterbinden (Google:
"Mail" "anti-spam" "download"). Alles Shareware
- das muß es doch auch als Freeware geben. War da nicht etwas auf
der letzten (oder vorletzten) CD-ROM, die der Computerzeitschrift "CHIP"
beilag? Wenn diese CD-ROMs nur gescheite Verzeichnisse hätten. So
müssen Sie mühsam Pfad für Pfad durchsuchen, werden aber
schließlich fündig.
11:30
Uhr
Ihr Mailprogramm hat nun einen Anti-Spam-Filter, der so gut ist, daß
er keinerlei Post mehr zu Ihnen durchläßt. Sie deinstallieren
das Tool, woraufhin Ihr Mailprogramm nicht mehr startet. Also installieren
Sie Ihr Mailprogramm neu und regen sich ca. 10 Minuten auf, daß
alle alten Mails verschwunden sind. Aber immerhin: die neuen kommen wieder
an.
12:00
Uhr
Eigentlich Zeit für das Mittagessen. Aber das werden Sie heute überspringen,
schließlich haben Sie zu arbeiten. Und da kennen Sie nichts, diszipliniert,
wie Sie nun mal sind.
Sie starten Ihre Textverarbeitung und fühlen sich gut. Da ist die
hübsche weiße Seite, etwa so, wie man früher auf das erste
weiße Blatt schaute. Ja, das ist immer ein erhebender Moment. Man
fühlt dieses Kribbeln. Denn gleich wird man Seite um Seite schreiben
und heute Abend vielleicht sogar früh genug fertig sein, um Stephanie
noch auszuführen.
12:30
Uhr
Nach Mannesart gehen Sie strategisch vor. Eventuell wird es mehrere Entwürfe
Ihres Konzepts geben. Sie wissen aus Erfahrung, wie leicht man da den
Überblick verlieren kann. Sehr professionell ist es, eine Kopfzeile
einzufügen, die neben dem Datum (okay, morgen ist Abgabetermin) auch
Pfad und Dateiname automatisch einsetzt. Das läßt sich ganz
leicht durch Einfügen einiger simpler Formatbefehle bewerkstelligen,
die Ihnen zwar nicht präsent sind, die sich aber leicht über
Google finden lassen.
13:00
Uhr
Sie haben die Suche über Google aufgegeben und den Dateinamen per
Hand eingefügt. Schließlich können Sie nicht den ganzen
Tag mit dererlei Unsinn verbringen. Eventuell sind inzwischen neue Mails
eingetroffen, Sie checken das kurz.
13:30
Uhr
Ein Freund schrieb Ihnen, daß sich so ein 0190-Dialer bei ihm eingenistet
hat und fragt Sie, wie er den wieder wegbekommt. Sie sind eine gute Seele,
entdecken auch ein Schutzprogramm über Google und schicken es ihm
per Mail. Da Sie auch selbst schon immer so ein Tool installieren wollten
und das gewissermaßen ein Abwasch ist, installieren Sie es auch
gleich auf dem eigenen Computer. Danach rufen Sie Ihren Freund an, um
sich zu vergewissern, daß bei ihm die Installation geklappt hat.
Sie kommen allerdings nicht durch, da das 0190-Schutzprogramm kurzerhand
alle Telefonanrufe nach außen blockiert. Sie deinstallieren es.
Danach installieren Sie Ihre DFÜ-Netzverbindung neu, da Sie plötzlich
keinen Zugang mehr zum Internet bekommen.
14:00
Uhr
Sie haben Ihren Freund erreicht, der aber inzwischen bereits ein Tool
auf der letzten CHIP-CD entdeckt hatte und es Ihnen schickt. Diesmal klappt
die Installation. Sie sind sehr zufrieden und hungrig. Mit einem derartig
niedrigen Blutzuckerspiegel kann man nicht arbeiten. Ein kleiner Happen
muß jetzt sein. Vielleicht einfach nur so eine 5-Minuten-Tütensuppe.
15:00
Uhr
Wer konnte schon ahnen, daß Tütensuppen ein derart geringes
Verfallsdatum von 2 Jahren haben? Das haben Sie allerdings erst nach dem
Kochen festgestellt und daher noch einen Sprung zum Türken um die
Ecke unternommen. Aber nun kann die Arbeit beginnen!
15:30
Uhr
Sie haben kurz einen alten Freund angerufen, um ihn zu fragen, wie er
mit seiner Arbeit vorankommt. Er erklärte, daß er schon seit
2 Tagen fertig sei. Musste das sein? Er war die längste Zeit
Ihr Freund! Sie haben noch einen anderen Freund angerufen, von dem Sie
wußten, daß er auch noch nicht fertig ist. Er hat Liebeskummer,
Sie haben ihm zahlreiche Tips gegeben, wie er diesen Kummer überwinden
kann.
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16:00
Uhr
Sie haben Ihre Mails abgerufen und ärgern sich über die vielen
Werbe-Mails, hüten sich aber, ein Anti-Spam-Tool zu installieren,
denn Sie müssen nun arbeiten.
Also tippen Sie die Überschrift.
Sie wissen, daß eine Gliederung die Arbeit ausgesprochen erleichtert.
Also sollte man damit beginnen, sich die einzelnen Gliederungspunkte zu
überlegen. Dabei fällt Ihnen ein, daß Word eine Gliederungsfunktion
besitzt, die sehr übersichtlich solche Verzeichnisse aufbereitet.
Diesmal brauchen Sie noch nicht einmal Google, Sie finden die Einstellungen
selbst.
16:30
Uhr
Sie haben herausgefunden, wie die Gliederungsansicht funktioniert und
wie man die einzelnen Punkt ein- und ausrücken kann. Aber das Layout
gefällt Ihnen nicht.
Sie gehen zur vorherigen Ansicht zurück, die sehr hübsch das
weiße Blatt mit der Überschrift zeigt. Dabei fällt Ihnen
auf, daß der Times-Font schwer lesbar ist und Sie probieren einige
Schriften aus, die auf dem Bildschirm wesentlich besser aussehen.
17:00
Uhr
Conny, Ihre Ex-Freundin hat angerufen, um sich über ihren neuen Lover
zu beschweren. Sie erklären ihr, daß dieser Typ nichts für
sie ist und verabreden sich für das Wochenende. In diesem Zusammenhang
fällt Ihnen ein, daß Sie eine Kontaktanzeige bei www.datingcafe.de
aufgegeben hatten und prüfen, ob dort Post für Sie eingegangen
ist.
18:00
Uhr
Sie hatten das Paßwort von www.datingcafe.de vergessen und mußten
Ihr altes Mailbox-Archiv rekonstruieren, in dem sich die Bestätigungsmail
mit den Daten versteckt hatte. Post auf datingcafe.de war zwar nicht für
Sie da, aber Sie haben die Postleitzahlsuche genutzt, um zu schauen, ob
sich aus Ihrer Gegend neue, attraktive Frauen eingetragen haben. An drei
Frauen haben Sie geschrieben. Und noch einen Blick in den Chat geworfen,
in dem sich 20 Männer auf 3 anwesende Frauen stürzten. Widerlich
so was. Noch widerlicher, daß diese Frauen auf Ihre privaten Chat-Anfragen
nicht geantwortet haben. Sie müssen Windows neu starten, da das System
nach so langer Laufzeit immer Speicherprobleme hat. Und Sie wollen doch
nicht, daß Ihre gesamt Arbeit im Orkus verschwindet! Datensicherung
ist das Gebot der Stunde! Sie laufen schnell noch zu Hertie, um ein paar
neue CD-ROM-Rohlinge zu kaufen, damit Sie Zwischensicherungen Ihres Textes
vornehmen können.
19:00
Uhr
Die Datensicherung hat problemlos geklappt, was auch nicht gar so verwunderlich
ist, da Ihre Textdatei noch relativ klein ist.
Sie tippen unter die Überschrift das Wort "Einleitung"
und formatieren es mit "fett" und "Gliederungsnummer".
Sie fragen sich, warum die nächste Zeile eine "2." vorne
erhält und warum sie eingerückt ist. Sie schlagen in der Online-Hilfe
nach und können das Problem nach kurzer Zeit beheben.
19:30
Uhr
Die ersten Zeilen sind die schwierigsten - das ist immer so. Man braucht
nur einen Anfang. Sie schauen bei Google nach, was schon alles zu diesem
Thema geschrieben worden ist. Sie werden nachdenklich, da offensichtlich
sehr viele Leute schon sehr viel darüber geschrieben haben. Sie sind
frustriert und fühlen sich hungrig.
20:00
Uhr
Der Türke um die Ecke hat Sie mit Handschlag begrüßt.
Nun fühlen Sie sich gesättigt und unternehmenslustig. Ja, Sie
fühlen, gleich kommt der Durchbruch! Okay, es ist spät - aber
dann wird es halt eine Nachtschicht. Das macht Ihnen nichts, das sind
Sie gewöhnt. Etwas Koffein wäre allerdings gut. Mit einem leckeren
Espresso müßte die Arbeit flott von der Hand gehen
21:00
Uhr
Sie haben festgestellt, daß die Ventile der Espressomaschine gereinigt
werden mußten. Außerdem ist ein Cappuccino zu so später
Stunde viel magenfreundlicher. Sie fragen sich, wie ernst das Verfallsdatum
Ihrer Milch gemeint ist und suchen den Milchaufschäumer, den Sie
zum letzten Geburtstag geschenkt bekommen haben. Der läuft mit Batterien,
die leer sind, aber leicht gegen diejenigen der Fernseh-Fernbedienung
ausgetauscht werden können. Beim Austausch haben Sie den Anschaltknopf
der Fernbedienung aus Versehen gedrückt und stellen fest, daß
ein höchst interessanter Beitrag im dritten Programm über das
Paarungsverhalten von Königstigern läuft. Das wäre doch
jetzt die richtige Entspannung, kurz diesen Beitrag anzusehen und dabei
den fertigen Cappuccino zu schlürfen.
22:00
Uhr
Der Beitrag war ohne Zweifel interessant, aber Ihnen ist übel. Weniger
wegen des ausgesprochen wilden Paarungsverhaltens der Königstiger,
eher, weil das Verfallsdatum der Milch doch ernst gemeint war. Sie suchen
in Ihrer Hausapotheke im Badezimmerschränkchen nach den Tabletten
gegen Durchfall und stoßen dabei auf einen lange vermißten
Socken, dessen Gegenstück Sie allerdings nirgendwo mehr auftreiben
können.
23:00
Uhr
Sie fühlen sich nervös und unruhig. Sie sind versucht, die Baldrian-Tropfen
zu probieren, die Sie zum Namenstag geschenkt bekommen haben. Sie beschließen
aber diesmal, das Verfallsdatum ernst zu nehmen und bereiten sich stattdessen
einen Kräutertee. Sie setzen sich an den Computer.
23:30
Uhr
Auf der Suche nach dem Kräutertee sind Sie auf eine angebrochene
Flasche Rum gestoßen, die keinerlei Verfallsdatum aufzeigt. Sie
mischen den Kräutertee mit einem kleinen Schuß Rum und merken,
daß dies ausgezeichnet schmeckt. Sie gehen zu einem Mischungsverhältnis
von 1:1 über. Ihnen geht es zunehmend besser.
0:30
Uhr
Die Flasche Rum ist geleert, Ihnen ist inzwischen alles egal. Sie schreiben,
was Ihnen einfällt, mit leichter Hand.
1:30
Uhr
Sie sind müde, glücklich und zufrieden. Die Arbeit ist geschafft.
Bei einer Fontgröße von 18 Punkten und dreizeiligem Abstand
war es ein Leichtes, auf die geforderten 20 Seiten zu kommen. Sie finden
im Internet ein Literaturverzeichnis und fügen es per Copy &
Past ein. Fertig!
2:00
Uhr
Die schwarze Tintenpatrone war leer. Sie haben nun alles in Rot ausgedruckt.
Kleinigkeiten, die Sie nicht weiter berühren.
2:30
Uhr
Bevor Sie das Licht löschen, werfen Sie
noch einen letzten stolzen Blick auf das Deckblatt Ihrer Arbeit. "Effizientes
Arbeiten mit dem PC" steht da. Ja, die Teilnehmer Ihres VHS-Kurses
werden Ihnen zujubeln. Glück lächelnd schlafen Sie ein.
© by Herbert Hertramph, maennerseiten.de
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