Gestandene Männer hätten vor Jahren bei dem Wort
"Brieffreundschaft" an Groschenromane gedacht und
forsche Frauen den Computer lediglich für einen überflüssigen
Staubfänger gehalten.
Heute ist alles anders: Die Chats im Internet gehören
zu den beliebtesten Treffpunkten - stunden- und nächtelang
unterhält man sich, oft in der Hoffnung, daß es
"mehr" wird.
Die Männerseiten wollen mit nebenstehenden Erfahrungsbericht
einen Beitrag zur Aufklärung über die Gefahren der
"Chatsucht" leisten ...
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Chat Dir eine(n)!
Meine Freunde hatten ohne Zweifel recht: Ich sollte nicht hinter meinen
Computer versumpfen, sondern hinaus ins feindliche Leben gehen. Die Nächte
der letzten drei Monate erhellte der Schein des Monitor mein Zimmerchen,
während ich in den Chats des Internets auf hochinteressante Leute
traf. So manches tiefschürfende Gespräch hatte ich geführt,
Anteil genommen an den Problemen anderer, Hilfeleistungen gegeben, wenn
PC-System abgestürzt waren. Das alles war gut und schön - aber
doch nicht das, was ich eigentlich wollte.
Jedenfalls fühlte ich mich stark genug, nun auch wieder Kontakte
im wirklichen Leben zu knüpfen.
Ganz in meiner Nähe war auch eine sehr nette Kneipe, die ich eines
Abends aufsuchte. Offensichtlich hatte die Kneipe einen Gastzugang, denn
ich kam ohne die Nennung eines Nutzernamens und Paßworts anstandslos
rein.Ja, hier pulsierte das Leben! Leute befanden sich im intensiven Plausch,
sogar Soundunterstützung und eine 3D-Einrichtung war geboten. Es
gefiel mir nicht übel! An einem Tisch bemerkte ich ein Mädel,
das in eine Zeitung vertieft war, und ohne große Umstände setzte
ich mich dazu.
Ich begrüßte sie mit einem kurzen "Hi", sie
schaute kurz auf, nickte mir zu, sagte ebenfalls "Hi" und vertiefte
sich wieder in ihre Zeitung. Das war okay so, der Anfang eines Chats war
immer ein wenig holprig. "Darf
ich dich stören, oder bist du gerade zu beschäftigt?" Ich
wußte, es gehörte sich, erstmal zu fragen. Mädels werden
oft von 5 oder 6 Chatpartnern gleichzeitig angetickert. In solchen Fällen
antworteten sie immer nur kurz und die Gespräche waren nicht sehr
ergiebig. Andererseits konnte ich sonst niemand an unserem Tisch sehen.
Entsprechend antwortete sie auch: "Schon okay, was möchtest
du denn?"
Na ja, keine sehr geistreiche Frage, aber man konnte ohnehin erst nach
einem längeren Chat abschätzen, wie der andere wirklich war.
"Na, mich ein wenig unterhalten, lächel." Zu dumm, ich
hatte hier nichts, womit ich ein Smiley :-) zeichnen konnte.
"Du bist aber sehr direkt", meinte sie und legte ihre
Zeitung weg.
"Nein,
nein, keine Angst, ich bin völlig harmlos, big-smile! Woher kommst
du denn?"
"Woher soll ich kommen? Aus Ulm natürlich."
Ah, ein Volltreffer! Sogar eine Gesprächspartnerin, die aus
der gleichen Stadt wie ich kam!
"So ein Zufall! Ich bin auch aus Ulm! Das muß gefeiert werden.
Ich geb' eine Runde Sekt aus!" Gewöhnlich zeichnete ich an solchen
Stellen ein sehr hübsches Sektglas, mit ">", "-"
und "|". Das ging hier nicht, aber trotzdem kam Leben in die
Kneipe, denn der Wirt hinter dem Tresen hatte mich gehört.
Mein Gegenüber schaute mich nachdenklich an und meinte: "Du
bist schon ein merkwürdiger Kerl ..." Das nahm ich kurzerhand
als Kompliment. Mir fiel ein, daß ich mich noch gar nicht vorgestellt
hatte: "Übrigens, ich bin Kuschelbär28." Sie
stutzte und erwiderte: "Schön, ich bin Marion, 24." Ah
- wir lagen sogar altersmäßig auf einer Linie. Manchmal unterhält
man sich ja, ohne es gleich zu merken, mit Kids um die 14 oder Gruftis
um die 60 - alles schon dagewesen.
Wie gerufen kam gerade ein Rosenvekäufer an unserem Tisch vorbei.
Ich zog eine aus seinem Strauß und reichte sie ihr. Eine Rose kann
man übrigens sehr schön zeichnen mit *->->-, aber wie
gesagt, das ging hier ja nicht. Noch ein anderer Unterschied fiel mir
auf: Der Rosenverkäufer ging nicht eher, bis ich die Rose bezahlt
hatte. Sie
nahm die Rose mit den Worten: "Oh, ein Romantiker!" "Ja",
sagte ich, "das bin ich wohl, leicht-errötend-werd."
"Leichterrötendwerd? Sag' mal, willst du mich hier veräppeln
oder arbeitest du für eine Comiczeitschrift?" Ich war verwirrt.
Wieso kam sie denn auf diesen Gedanken? "Nein, nein, ich hab' mit
Computern zu tun, wie die meisten wohl hier." Sie schaute sich um.
Offensichtlich nahm sie mir nicht ab, daß auch die Teilnehmer in
der EDV-Branche arbeiteten, obwohl das doch die Regel war, wie meine Erfahrung
zeigte. Okay, wir waren hier in einem Hardrock-Café und auch ich
fand es irgendwie komisch, daß die meisten mit Lederjacken und Tattoos
herumliefen.
Ich beschloß nach dem guten Anfang, einen Gang höher zu schalten:
"Damit du auch weißt, mit wem du hier überhaupt sprichst:
Ich bin 1,86m groß, Brillen- und Barträger." Marion24
lehnte sich zurück und musterte mich von oben bis unten. "Ach?
Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht." "Nein? Ja, man
macht sich oft so seine eigenen Vorstellungen, mit wem man sich unterhält.
Vielleicht willst du dich auch mal beschreiben?" Ich wußte,
das war eine heikle Frage - aber probieren konnte man es ja mal.
"Mich beschreiben? Wie meinst du das? Meine Interessen, meinen Charakter
oder was?" "Marion24: das auch, aber ich dachte jetzt erstmal
mehr an dein Äußeres." Sie lehnte sich noch weiter zurück.
"Mein Äußeres?" fragte sie gedehnt. "Wie meinst
du das?" Die Frau war offensichtlich geistig nicht so ganz auf dem
Damm, schade. Aber gut, ich bin nicht so.
"Na ja, so Größe,
Haarfarbe, Figur usw. Oder ist dir das zu persönlich? Wie gesagt,
ich will nicht aufdringlich sein." Sie schaute mich lange nachdenklich
an, dann sagte sie: "Sehschwäche?" Das brachte mich
durcheinander, und ich beschloß, das Thema zu wechseln.
"Übrigens, Marion24, hast du hier auch ein Postfach?" "Postfach?
Komische Idee, natürlich nicht. Mein Briefkasten ist zu Hause, wie
sich das gehört." Ah, sie war hier also nicht Stammgast. "Und
Deine E-Mail-Adresse? Verrätst du mir die? Vorsichtig-mal-anfrag."
Sie zog die Luft ein. "Wie käme ich dazu?!" "Na ja,
Marion24, ich mein' ja nur so. Oder ich geb' dir meine, dann kannst du
mir ja bei Gelegenheit mal ein Bild schicken ... frech-grins."
Sie nahm ihre Tasche, zahlte und gab mir ihre Visitenkarte: "Ich
hab da eine viel bessere Idee. Du besuchst mich mal. Hier ist meine Adresse.
Und bitte möglichst bald." Damit ging sie. Ich war noch ganz
benommen. Eine Verabredung zu einem Blind-Date gleich am ersten Abend
- das war selten! Überglücklich zahlte ich auch (wobei ich mich
über die drei Lokalrunden schon sehr wunderte) und verließ
die Kneipe. Zuhause schaltete ich sofort meinen Computer ein, um die kostbare
Adresse in meine Datenbank einzugeben. "Dr. Marion Eckenfels, Dipl.-Psych.,
Landesheilanstalt Günzburg" stand da. Ich schaltete meinen Computer
still wieder aus und verkroch mich in mein Bett ...
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